Getting back to normal - Albertas “Dank“ an Krankenschwestern und Krankenhauspersonal

 

 

Pünktlich zum Canada Day am 01. Juli ist Alberta zur Stufe 3 des “Open for Summer Plan“ vor­gerückt und hat damit so gut wie alle COVID-Beschrän-kungen bzw. Vorsichtsmaßnahmen auf­gehoben. Ein Schelm, wer Böses da-bei denkt und vermutet, dass man die Stampede in Cal­gary, die über eine Million Besucher und entsprechende Einnahmen für die Provinz bedeuten, bei der Wahl des Startzeitpunktes hierfür herangezogen hat. Der Einzelhan-del darf bei voller Kapazität öffnen, Veranstaltungen im Freien haben auch keine Beschränkung der Besucher­zahlen mehr und die Maskenpflicht ist ebenfalls fast komplett aufgehoben. Lediglich in öffentli­chen Verkehrsmitteln und einigen Behörden ist das Tragen von Masken noch Pflicht. Und ein paar widerspenstige Rebellen, die sich standhaft weigern, ihre Restaurants oder Läden für Nicht-Maskenträger zu öffnen, weil sie ihre Angestellten und Kun-den (oder kurz: Mitmenschen) bestmöglich schützen wollen, werden belä-chelt und als verweichlichte Panikmacher abgetan. Der ein oder andere würde sie – wäre es nicht strafbar – sicher auch ganz gerne öffentlich stei­nigen. Ja, bei uns im Wilden Westen herrschen teilweise noch andere Sit-ten. Der Stärkere/Lautere hat hier eben doch oftmals Recht! Da bin ich per-sönlich doch froh, dass ich zwischenzeitlich beide Impfungen habe und mich nicht mehr ganz so schlimm sorgen muss.

 

 

Aber nun zum eigentlichen Thema, das mich diese Woche ganz besonders beschäftigt: der Dank unserer Provinz Alberta an die Krankenschwestern und das übrige Krankenhauspersonal. Nachdem immer mehr Kranken-schwestern und Ärzte im Laufe der Pandemie mit Burn-out, De­pression, oder sonstigen ernsthaften psychischen und physischen Krankheiten aus-gefallen sind, hat unsere Provinz nun angekündigt, die Löhne der Kranken-schwestern um 3% und die des übrigen Krankenhauspersonals (also Reini-gungskräfte, Küchenpersonal, etc.) um 4% zu kürzen! Ja, Sie haben richtig gelesen: kürzen, nicht erhöhen! Diese Menschen haben sich auf­geopfert, um uns am Leben zu halten, Tag und Nacht gearbeitet, Überstunden gelei-stet wie nie, ihre Familien notgedrungen hintangestellt - unvorstellbar, was sie alles mit ansehen mussten und wie vielen Sterbenden sie die Hand beim letzten Atemzug gehalten haben. Und das jeden Tag auf`s Neue. Über ein Jahr lang. Meine Freundin ist Krankenschwester in der Intensivstation in einem Kran­kenhaus in Edmonton. So hatte sie erst letzte Woche ihre 12-Stunden-Schicht um nochmal 4 auf 16(!) Stunden verlängert, weil zu wenig Personal da war. Vorgestern wurde sie gebeten, an ihrem freien Tag zu ar-beiten, weil Personalmangel herrscht. Zu Hause hat sie 2 Kinder mit gerade mal 1 und 4 Jahren und einen Mann, der versucht, sie bestmöglich zu unter­stützen. Ich frage mich, wie lange diese Frau, die mit Leib und Seele Kran-kenschwester ist, das noch machen kann, bevor sie selbst zusammenbricht. Und für all ihren Einsatz be­kommt sie und ihre Kollegen jetzt den Lohn dafür. Unfassbar! Wie niederschmetternd muss das für die Moral dieser Leute sein? Kennen Sie das Prinzip des Fremdschämens? Mir geht es ge­rade so. Ich schäme mich dafür, in einer Provinz zu leben (und ihre Wirtschaft zu unterstützen), in der Menschlichkeit und Anstand komplett verloren gegan-gen sind. Oder existierten die unter Umständen gar nicht? Ach ja, und jetzt wird gejammert und geklagt, dass so viele Kranken­schwestern kündigen und so viele Leute die Provinz verlassen, um sich eine neue Heimat zu suchen. Brain drain (die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte) ist seit langem ein Thema. Warum nur??? Da wird akribisch nach Ursachen ge-forscht und man kann sich das überhaupt nicht erklären. Wo Alberta doch wirtschaftlich so hervorragend da steht und nach wie vor ein Leben im Luxus geführt werden kann. Schon seltsam. Steigende Ölpreise und die Stampede sind Gold für die Wirtschaft in Alberta, die mo­mentan doch etwas an der Arbeitslo­senquote von 9,3% zu knabbern hat. Wir schaffen das. Make Alberta Great Again las ich erst neulich wieder auf einer Flagge, die auf einem an mir auf dem Highway vorbeirauschenden Monster-Truck wehte. „Logisch“, dachte ich mir, das wird schon wieder, wenn wir nur laut genug schreien und damit die Stimmen der Vernunft und des Wissens über-tönen. Sarkasmus hilft manchmal doch. Ich denke an ein Lied von BAP, in dem Wolfgang Niedecken meine Stimmung so treffend in einer Textzeile zusammenfasst: nicht resigniert, nur reichlich desillusioniert - ein bisschen was hab‘ ich kapiert.

 

 

Und dann schaue ich heute Morgen aus dem Fenster und es gruselt mich. Alles grau und neb­lig, es sieht aus wie an einem düsteren Herbsttag. Der Rauch von den derzeit 300 lodernden Waldbränden in British Columbia hat Alberta komplett überzogen. Wir sind auf unserem Air Quality Health Index (AQHI), der die Schadstoffbelastung in der Luft angibt, heute bei der 10 angelangt, wobei 1 die beste und 10 die schlechteste Luftqualität ist. Heute Nacht gibt es die 10+ (in Worten: zehn plus). Damit ist unser Risiko für gesundheitliche Schäden dann very high, also sehr hoch. Fenster öffnen hat sich damit für die nächsten Tage erledigt. Ausgerech­net jetzt, wo wir nach der extremen Hitze mal einen kühlen Luftzug im Haus gut vertragen könnten. Wenn ich dann aber den Jogger sehe, der draußen um den Teich rennt, denke ich, dass es bestimmt nicht so schlimm ist. Und dass das alles mit dem Klimawandel zu­sammen­hängt, ist auch eher unwahrscheinlich. Die Fluten in Deutschland, die Hitzewelle hier und die Brände sind sicher nur unglückliche Zufälle, aber mit Klimawandel hat das doch nichts zu tun, oder? Denken Sie, ich werde mich davon überzeugen können, wenn ich es mir nur oft genug selbst laut vorsage? Ich hoffe es, denn Nachdenken ist wirklich anstrengend. Jetzt mache ich Schluss für heute, denn ich bekomme lang-sam Kopfweh - bestimmt vom vielen Nachdenken, nicht vom Rauchgestank!